Moin Moin zusammen 🙂
…so trete ich seit 30 Jahren vor meine Klassen und Kurse, bevor wir unsere Arbeit beginnen. Mir ist danach, dies vorbehaltlich einer später folgenden, förmlicheren und feierlicheren Anrede, auch hier und jetzt so familiär, intern und herzlich zu halten.
Pause
Ich würde Ihnen allen gerne Teile eines Textes zitieren:
„Sehr geehrte Absolventinnen und Absolventen,ich freue mich sehr, heute hier vor Ihnen zu stehen und Ihnen zu Ihrem erfolgreichen Abschluss zu gratulieren. Sie haben in den letzten Jahren hart gearbeitet und sich auf diesen Moment vorbereitet. Sie haben sich nicht nur akademisch weiterentwickelt, sondern auch als Persönlichkeiten.“
Weiter geht es mit:
„Doch während wir heute feiern, dürfen wir nicht vergessen, dass wir in einer Zeit leben ….“
Dann folgt:
„Als Schulleiter habe ich mich immer dafür eingesetzt, dass unsere Schule unsere Schülerinnen und Schüler auf die Herausforderungen des Lebens vorbereitet.“
Dicht gefolgt von:
„Doch wir dürfen nicht zufrieden sein. Wir müssen uns weiterhin für eine bessere Bildungspolitik einsetzen, die auf die Bedürfnisse unserer Schülerinnen und Schüler abgestimmt ist. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Bildung für alle zugänglich ist, unabhängig von sozialer Herkunft oder finanziellen Möglichkeiten.“
Und zum Schluss dann:
„Ich bin zuversichtlich, dass Sie, liebe Absolventinnen und Absolventen, die Zukunft unserer Gesellschaft positiv beeinflussen werden.“
„Herzlichen Glückwunsch zum Abitur!“
Pause
Was ich in ChatGPT eingegeben habe, war:
„Verzweifelter überarbeiteter Schulleiter braucht am Vortag zum Abitur….“ 🙂
Nein, das habe ich natürlich nicht eingegeben. Stattdessen habe ich in Ruhe und Gelassenheit geschrieben:
„Schreibe mir eine Abiturrede für einen Schulleiter, die auch kritisch-allgemein-politische und schulpolitische Aspekte beinhaltet.“
Ich habe dann eine Weile auf den Bildschirm gestarrt und gedacht: „Jo“ 🙂
Pause
ChatGPT ist momentan nicht nur in schulischen Zusammenhängen in aller Munde – und verstehen Sie mich bitte nicht falsch – ich unterschätze diese riesige, Texte ausformulierende, ständig lernende Erfahrungsdatenbank keines falls! Die Grundlagen dieser Maschine sind von vielen vielen Menschen angehäuftes und ausformuliertes Wissen. Auch deren Subjektivität, Widersprüchlichkeit und Meinungsvielfalt.
Zu Recht stellen wir uns seit diesem Jahr Fragen in allen Ausbildungssystemen – sei es in der Schule, an der Universität oder im Lehrberuf – im Bereich der Forschung und Entwicklung – sei es im Labor der Auto-Industrie oder an den Instituten der RWTH – oder auch an kreativer Stelle: Im Maler-Atelier, im Büro der Designerin oder der Architektin:
- „Hat die Schülerin oder der Schüler diese Facharbeit selbst geschrieben und wie kann ich das überprüfen?“
- „Wie lange hat die Informatik-Studierende auf den Programm-Entwurf wohl warten müssen?“
- „Was ist überhaupt noch überprüfbare Eigenleistung an der Lehramt-Master-Arbeit der Studierenden?“
- „Ist der Entwurf und sind die statischen Berechnungen meines neuen Hauses das Geld noch wert, dass ich dem engagierten Architekten überweise?“
- „Ist in Zukunft ein jahrelanges, doch Lebenszeit beanspruchendes und eben auch nicht immer erfolgreiches Studium oder eine ebensolche Ausbildung überhaupt noch notwendig, wenn doch jeder Mensch jeder Zeit nicht nur alle Informationen zur Verfügung hat, sondern diese per Arbeitsauftrag an eine KI auch in konkret umsetzbare und lesbare Sinnzusammenhänge bringen lassen kann?“
Pause
Philosophinnen und Philosophen stellen schon viel weiterführendere Fragen als die bisher rein praktischen des Alltags:
- „Macht die KI nun alle schulische und berufliche Ausbildung von Menschen, die jahrelange Entwicklung zum ausgewiesenen Fachmenschen, ja – alle menschlich angehäuften Erfahrungen überflüssig?“
- „Kehren wir zurück in den Garten Eden ohne Aufgabe und Verpflichtung – frei in eine Art „Tal der Ahnungslosen“ – und der Apfel der Erkenntnis ist ein Apple-Computer?“
- „An welcher Stelle werden wir in der Zukunft von einem künstlichen Bewusstsein sprechen müssen – von einem Individuum, einer Spezies?“
- „Hat diese irgendwann die gleichen Rechte wie wir?“ Und:
„Sind wir dann irgendwann mal überflüssig“?
Seit langem schon befassen sich kluge Köpfe über das Medium der Literatur und im Nachgang dazu oft auch über das Medium Film mit dieser Frage. Einige wenige unbedingt lesenswerte und anschauenswerte Beispiele müssen mir erlaubt sein:
Arthur C. Clarke, ein Physiker, der als einer der Väter der heutigen satellitengestützten Kommunikationstechnik gilt, so dass im englischen Sprachraum der geostationäre Orbit auch „Clarke Orbit“ genannt wird und 1964 sehr genau die heutige Nutzung des Internets vorausgesehen hat, schrieb 1968 den Roman „2001 – Odyssee im Weltraum“ und machte gemeinsam mit Stanley Kubrick den gleichnamigen Film.
Hier übernimmt der Super-Computer des Raumschiffs Discovery, Hal9000, die Führung über eine Mission und tötet, um diese zu erfüllen, fast alle Besatzungsmitglieder, weil er diese für nachrangig wichtig erachtet.
Isaac Asimov, ein russisch-amerikanischer Biochemiker und Sachbuchautor befasste sich Zeit seines Lebens auch mit Kybernetik, Robotik und künstlicher Intelligenz. Seine frühen Romane sind im Sammelband „I Robot“ zusammengefasst. „Ich, der Roboter“. Den meisten von Ihnen wird die Verfilmung, die sich aus allen diesen frühen Geschichten gleichermaßen bedient, „I Robot mit Will Smith in der Hauptrolle“, bekannt sein.
Hier geht es genau um diese Schwelle zum Bewusstsein künstlicher Intelligenz, um sein Recht auf Leben – ähnlich den vereinbarten Menschenrechten – und um seine Werte-Stellung gegenüber biologisch-menschlichem Leben.
Mein letztes Beispiel: der Film „Her“ mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle. Die Installation eines neuartigen PC-Betriebssystems macht sich hier sehr selbstständig, entwickelt eine eigene Persönlichkeit: „Samantha“.
Dieser erliegt der Protagonist dann bis zu dem Punkt, an dem „sie“ ihm – während beide über ihre Beziehungsprobleme diskutieren – gesteht, dass sie gerade gleichzeitig mit 8316 anderen Menschen in engem Kontakt stehe und sich inzwischen auch in 641 von ihnen verliebt habe. 🙂
- Eine KI entscheidet, dass die Mission wichtiger ist, als das Leben der Besatzung,
- Eine KI kämpft um seine oder ihre „Menschenrechte“,
- und eine KI zeigt auf, zu welcher den Menschen überlegenen, auch emotionalen Vielfalt sie in der Lage ist und damit dem Menschen einen nachrangigen Platz zuweist.
Pause
Einige von Ihnen werden sich jetzt fragen, auf welche Abwege der weißbärtige alte Mann da oben inzwischen gekommen ist. Lassen Sie mich das Thema zurückholen und mein Anliegen verdeutlichen:
Ja, es ist durchaus wahrscheinlich, dass wir irgendwann in der Zukunft Entscheidungen als Menschheit treffen müssen. Wir werden uns darüber im Klaren sein müssen, wohin die Entwicklung von künstlicher Intelligenz gehen soll, was wir von ihr erwarten und welchen Stellenwert sie in unserer aller Leben haben soll.
Aber das liegt in weiter Zukunft.
Wir sollten uns durch unsere Ängste und Vorbehalte als kritisch Denkende oder Bewertende, aber auch von unserer Begeisterung und unseren Wunschgedanken als Nutzer:innen künstlicher Intelligenz nicht beeindrucken, ablenken, einschränken und behindern lassen!
Pause
Meine nächste Eingabe in ChatGPT war:
„Berechne mir die Statik für eine Fußgänger-Brücke über eine dreispurige Autobahn.“
Die Antwort kam nach kurzem Zögern:
„Als KI-Assistent bin ich nicht in der Lage, eine Statikberechnung für eine Fußgängerbrücke über eine dreispurige Autobahn durchzuführen. (…) Es ist wichtig, dass eine solche Berechnung von einem erfahrenen Ingenieur durchgeführt wird (…). Bitte wenden Sie sich an einen qualifizierten Ingenieur, um eine Statikberechnung für Ihre Fußgängerbrücke durchführen zu lassen.“
Pause
Eine gute schulische Ausbildung macht Sinn.
Eine gute berufliche Ausbildung macht Sinn.
Ein intensives Studium, das seine Zeit braucht, macht Sinn.
Das Sammeln von Erfahrungen, Erfolgen und Misserfolgen, das Erleben vom Siegen und vom Scheitern – das alles macht für uns Menschen nach wie vor und immer noch erheblichen Sinn.
– das machte in den letzten 8 Jahren in Eurer schulischen Zeit am Einhard Sinn, liebe Abiturientinnen und liebe Abiturienten, und das macht bei allem, was Ihr in Zukunft in Ausbildung und Studium lernt, was Ihr als Eure Berufung erkennen werdet und womit Ihr Euer zukünftiges berufliches Leben verbringen werdet, Sinn.
Eine KI kann Euch unterstützen, ihr könnt sie einsetzen, wie ein Werkzeug. Macht Euch intensiv mit ihren Möglichkeiten vertraut und lernt schnell nicht nur ihre sich ständig ausweitenden Grenzen, sondern vor allem Eure herausragend grenzenlosen menschlichen Möglichkeiten kennen. Die Maschine kann all das, was Ihr auch schon an Eurem Einhard gelernt habt, nicht ersetzen:
- Kreativität und Originalität
- Persönliche Farbe und Vielfalt
- Ganz persönliche Erfahrungen und Subjektivität
- Schwäche und Stärke
- Gefühle und sachbasiertes Werturteil
- Sehnsüchte und Wünsche
- Starke Motivation, Ehrgeiz und Kampfgeist
- Nachgiebigkeit und Entscheidungsfähigkeit
- Leichtsinn und volle Verantwortung
- Fehler, Einsicht und Neuanfang
- Einfühlungsvermögen und Toleranz
- Mitgefühl und Liebe
Nichts und niemand nimmt Euch Eure gewachsene, unverwechselbare, einzigartige Besonderheit als Mensch. Und nachdem Ihr das alles auch an diesem Ort lernen und üben konntet, jetzt nachweislich auch als „Mensch mit Abitur“ 🙂
Pause Pause
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
liebe Eltern, Angehörige, Ehemalige und Freunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen
liebe Gäste!
Wir verabschieden heute den dritten Jahrgang, der einiges aushalten musste. Distanz-Unterricht, wenig Nähe durch Abstand und Maskenpflicht, strengere Regelungen unseres schulischen Alltaglebens und eigentlich die Notwendigkeit, früher erwachsen zu werden.
Aber Ihr – liebe Abiturientinnen und Abiturienten – habt jede Absage, jede Enttäuschung mit Gefasstheit, Ruhe und letztlich konstruktiv-positiver Haltung aufrecht getragen. Ihr hattet den selbstgewählten Anspruch formuliert, der beste Jahrgang zu sein. Ihr habt eng miteinander aber auch mit den Lehrkräften und der Schulleitung zusammengearbeitet, um den Abi-Gag mit Live-Musik und einem tollen Gesamtkonzept sowie den heutigen Tag zu etwas jeweils Besonderem zu machen. Respekt für die Show am letzten Schultag! Ich feiere Euch dafür!
Zum Abschluss der Rede des Schulleiters danke ich wie in jedem Jahr allen helfenden Händen, allen Unterstützerinnen und Unterstützern, dass dies möglich gemacht werden konnte.
Danke vor allen anderen an Herrn Willemsen, den Stufenleiter, für seine dreijährige intensive und erfolgreiche Arbeit ebenso wie an alle Elternvertreter:innen und die Arbeits-Teams der Schüler:innen für die unermüdliche Organisation und den umfassenden Kommunikationsfluss mit allen Beteiligten.
Danke an alle Kolleginnen und Kollegen für ihre unermüdliche, engagierte unterrichtliche und außerunterrichtliche Arbeit nicht nur in den letzten drei Jahren der Oberstufe.
Danke an Herrn Lube unseren Hausmeister für die tatkräftige Unterstützung in allen Belangen. Danke an die Darbietenden für das feierliche Rahmenprogramm am heutigen Festtag. Und Dank an alle die, die unerwähnt geblieben sind.
Es ist meine Aufgabe als Schulleiter, auch die Leistungen dieses Jahrgangs öffentlich bekannt zu machen.
Überhaupt erfüllen uns auch in diesem Jahr alle Abiturientinnen und Abiturienten mit Stolz. Besonders hervorheben möchte ich dennoch, dass 7 von Euch das Kunststück eines Abiturs mit einem Durchschnitt von 1,0 fertig gebracht haben. Teilweise mit Punktzahlen im Ergebnis jenseits von Gut und Böse.
Dazu haben insgesamt nahezu 50% von Euch einen Abschluss mit einer 1 vor dem Komma geschafft. Also zwischen 1,0 und 1,9. Das ist auch diesmal absolut bemerkenswert!
Chapeau, Applaus und Respekt gehört jedoch allen, die in dieser Zeit ihr Abitur „gebaut“ haben. Alle können mit Recht Stolz und voller Freude sein! Ein Einhard-Abitur haben meines Wissens auch die wenigsten im bekannten Teil des Universums.
Herzlichen Glückwunsch zum Abitur 2023!